Wie schon des öfteren erwähnt, ist der Grenzwertbegriff ein ganz wichtiges Konzept der Analysis. Ausgehend von dem Begriff des Grenzwert einer Zahlenfolge konstruieren wir jetzt einen neuen, aber angelehnten Grenzwertbegriff für Funktionen.
Wir lassen eine Folge von Argumenten für eine Funktion f gegen ein festes Argument a konvergieren und fragen uns, was mit der Folge der zugehörigen Funktionswerte eigentlich passiert?
 Wenn für jede solch eine konvergente Folge von Argumenten, auch die Folge der zugehörigen Funktionswerte konvergiert und dieser Grenzwert der Funktionswerte stets derselbe ist, dann sagen wir die Funktion hat an dieser Stelle einen Grenzwert oder die Funktion konvergiert an dieser Stelle
In der Umgebung der betrachteten Stelle nähert sich die Funktion also beliebig nah an den (für alle Folgen gemeinsamen) Grenzwert. Formal scheint die Forderung, dass dieser Grenzwert für jede konvergente Argumentfolge untersucht werden muss, außerordentlich stark zu sein. Bei einigermaßen "normal" sich verhaltenden Funktionen ist, wegen der starken Koppelung benachbarter Funktionswerte, so ein "gemeinsamer" Grenzwert, tatsächlich aber der Normalfall. 

Beispiele für Funktionen, die an bestimmten Stellen keinen Grenzwert haben, sind:

  • sgn(x), 1⁄|x| oder 1⁄x an der Stelle 0
  • 1⁄(x²-1) an den Stellen -1 und +1
  • sin(1⁄(x-5)) an der Stelle +5

Der wichtigste Anwendungsfall für diesen Grenzwertbegriff ist seine Verwendung bei der Definition von stetigen Funktionen.

Sei D ⊂ ℝ,  f: D → ℝ, und a ∈ ℝ. Dann definieren wir:

c ∈ ℝ heißt
Grenzwert von f
an der Stelle a

falls für jede Folge (xn) mit xn ∈ D und lim xn = a
die Folge der zugehörigen Funktionswerte gegen c konvergiert, also lim f(xn) = c
[in Zeichen: lim f(x) = c ]

oder:

falls ∀ (xn) mit xn ∈ D gilt: lim xn = a ⇒ lim f(xn) = c 

oder: falls ∀ ε>0 ∃ δ>0 : |x-a| < δ ⇒ |f(x)-c| < ε
c ∈ ℝ heißt links­­seitiger
Grenzwert von f
an der Stelle a
falls für jede Folge (xn) mit xn ∈ D, xn<a und lim xn =a
die Folge der zugehörigen Funktionswerte gegen c konvergiert, also lim f(xn) = c
[in Zeichen: ↗- lim f(x) = c ]
c ∈ ℝ heißt rechts­­seitiger
Grenzwert von f
an der Stelle a
falls für jede Folge (xn) mit xn ∈ D, xn>a und lim xn =a
die Folge der zugehörigen Funktionswerte gegen c konvergiert, also lim f(xn) = c
[in Zeichen: ↘- lim f(x) = c ]
c ∈ ℝ heißt Grenzwert
von f 
für x → +∞
falls für jede Folge (xn) mit xn ∈ D und lim xn = +∞
die Folge der zugehörigen Funktionswerte gegen c konvergiert, also lim f(xn) = c
[in Zeichen:  +∞-lim f(x) = c ]
oder: falls ∀ ε>0 ∃ k∈ ℝ : x>k ⇒ |f(x)-c| < ε 
c ∈ ℝ heißt Grenzwert
von f 
für x → -∞
falls für jede Folge (xn) mit xn ∈ D und lim xn = -∞
die Folge der zugehörigen Funktionswerte gegen c konvergiert, also lim f(xn) = c
[in Zeichen:  -∞-lim f(x) = c ]

oder: falls ∀ ε>0 ∃ k∈ ℝ : x<k ⇒ |f(x)-c| < ε

 

Bemerkungen:

  • Der Grenzwert a der Folgen (xn) aus D muss nicht zwingend auch in D liegen.
  • Es wird stets vorausgesetzt, dass es mindestens eine Folge (xn) mit x∈ D und lim xn = a gibt.
  • Links- und rechtsseitige Grenzwerte werden zusammengefasst zum Oberbegriff halbseitige Grenzwerte
  • In der symbolischen Schreibweise lim, ↗-lim, ↗-lim oder ∞-lim werden die betrachteten Folgen nicht mehr explizit aufgeführt.
    Es sollte jedoch jedem klar sein, um welche Folgen es sich jeweils handelt:
    • beim Grenzwert an der Stelle a handelt es sich um alle Folgen die gegen a konvergieren
    • beim linksseitigen Grenzwert an der Stelle a handelt es sich um alle Folgen die gegen a konvergieren und deren Folgenglieder < a sind
    • beim rechtsseitigen Grenzwert an der Stelle a handelt es sich um alle Folgen die gegen a konvergieren und deren Folgenglieder > a sind
    • beim Grenzwert für x →  +∞  handelt es sich um alle gegen +∞ bestimmt divergenten Folgen
    • beim Grenzwert für x →  -∞  handelt es sich um alle gegen -∞ bestimmt divergenten Folgen
  • Anders ausgedrückt: Damit eine Funktion "einen der oben genannten Grenzwerte" hat, muss für alle solche Folgen die entsprechenden Folge der Funktionswerte gegen ein und dieselbe Zahl konvergieren (hier c genannt).
  • Die ausführliche Notation der oberen Grenzwerte in der oben angegebenen Reihenfolge sieht so aus:
                   
    Insbesondere erkennt man an dieser Notation auch die Stelle a, die gerade untersucht wird.

Einige fundamentale Sätze:

  1. Eine Funktion hat an der Stelle a∈ ℝ einen Grenzwert genau dann wenn der links- und rechtsseitige Grenzwert existieren und gleich sind.
  2. Wie bei Folgen, so gilt auch hier analog:
    Für die Summe, die Differenz, das Produkt und den Quotienten zweier Funktionen mit gleicher Art von Grenzwert an der gleichen Stelle (also einem Grenzwert an der Stelle a, einem links- oder rechtsseitigen Grenzwert an der Stelle a oder einem Grenzwert für x → + ∞ oder für x → - ∞), existiert der entsprechende Grenzwert und ist gleich der Summe, der Differenz, dem Produkt bzw. dem Quotienten der Grenzwerte der beiden betrachteten Funktionen.
  3. ACHTUNG: Beim Quotienten muss wieder darauf verwiesen werden, dass der Nenner nicht 0 sein darf und darüberhinaus auch der Grenzwert der Nennerfunktion ≠ 0 sein muss.
  4. Für den Fall, dass beim Quotienten die Zähler- und die Nennerfunktion an der betreffenden Stelle oder im Unendlichen gegen 0 oder ±∞ konvergieren, hilft uns zur Berechnung des Grenzwertes die Regel von de l'Hospital.